Interview mit der Maßschneidermeisterin Sandra Gronemeier aus Düsseldorf

Düsseldorf, 27.08.2022



00:00:06 Melchior Rasch

Ich bin heute zu Gast bei Sandra Gronemeier in ihrem Mode Atelier in Düsseldorf auf der Herzog Straße und ich habe ein paar Fragen für Sie vorbereitet und würde direkt mal mit der ersten starten. Also die erste Frage lautet: Wie sind sie zur Mode gekommen und gab es bestimmte Personen auf diesem Weg, die besonders wichtig waren?

00:00:25 Sandra Gronemeier

Okay, wie bin ich dazu gekommen… seit meinem vierten Lebensjahr nähe ich ja schon und meine Oma, der Bruder meiner Oma väterlicherseits, der hatte ein Herren Atelier und da hat sie auch immer so ein bisschen ausgeholfen und sie hat mir dann so ein bisschen was gezeigt und meine Patentante mütterlicherseits, die hatte auch ein Atelier und eigentlich wollte ich das ja nicht beruflich machen. Ich wollte das ja eigentlich nur hobbymäßig machen und dann hat sich das so ergeben.

00:00:52 Melchior Rasch

Können Sie das etwas genauer ausführen?

00:00:53 Sandra Gronemeier

Dann wollte ich Modedesign studieren in Bielefeld und dafür braucht man ein Praktikum und dann habe ich mich beworben und dafür musste ich ein Jahr Praktikum machen. Und in dem Atelier hab ich dann das Praktikum gemacht. Dabei ist mir aufgefallen, dass mir diese Einzelanfertigungen für Kund*innen und das Produzieren als solches viel mehr liegen als dieses ständige Zeichnen. Und da habe ich dann gefragt, ob ich die Ausbildung dort machen kann und dann wurde mir dieses eine Jahr Praktikum auch anerkannt und dann habe ich die Ausbildung gemacht. Meine Lehrmeisterin war schon auch eine sehr prägende Person, weil die also aus einer Mode Sicht nicht wirklich modisch war, sondern sie ist sehr auf die Leute eingegangen. Also Sie hat auch Sachen gemacht, die völlig unmöglich waren, wenn es der Kunde eben so haben wollte.

00:01:42 Melchior Rasch

Man macht was man tun muss, nicht wahr? *lacht*

00:01:45 Sandra Gronemeier

Weil sie auch sehr frei war in ihrem Denken.

00:01:49 Melchior Rasch

Mhm und gab es irgendwann einen Punkt, wo sie überlegt haben, ob sie ein Studienweg einschlagen oder eher den Ausbildungsweg nehmen oder stand es nie zur Debatte zu studieren?

00:02:00 Sandra Gronemeier

Doch das war ja, also nach der Schule stand das eben zur Debatte, da wollte ich das Studium machen und dann habe ich eben das Praktikum gemacht und dann stand es nicht mehr zu Debatte.

00:02:08 Melchior Rasch

Okay.

00:02:09 Sandra Gronemeier

Also da dachte ich dann mach ich lieber die Meisterprüfung und macht den anderen Weg, also weil das Ziel war immer eine Selbstständigkeit. Das war mir dann ziemlich klar.

00:02:17 Melchior Rasch

Okay und Selbständigkeit war quasi so ausgerichtet, dass die handwerkliche Ausbildung einfach in dem Moment sinnvoller erschien, als ein Studium?

00:02:25 Sandra Gronemeier

Genau, weil ich in Schulpraktika, die man so machen muss mit in der achten oder neunten Klasse, in der Industrie war, weil Bielefeld ja auch relativ viel Bekleidungsindustrie hat und da war mir klar, dass ich da nicht hin wollte.

00:02:40 Melchior Rasch

Ja, verständlich. Also was würden Sie dann sagen sind die Vorteile einer handwerklichen Ausbildung gegenüber sozusagen ein Modedesignstudium?

Sandra Gronemeier

Also der Weg das Ziel ist ja eigentlich ein anderes, also Modedesignstudium beziehungsweise die Schule In Bielefeld, das war eine staatliche Schule, wo man sich nach 3 Semestern entscheiden musste, ob man Textildesign oder Modedesign macht. Die war schon sehr stark ausgerichtet auf die Konfektion und das man im Team arbeitet, also, dass man nur den Entwurf und nicht die Fertigung macht. Und dann habe ich ziemlich schnell gemerkt, dass mir die Fertigung eigentlich mehr liegt und dann war eigentlich klar dass ich ins Handwerk will, weil es vielfältiger ist. Ich habe ja gesehen, was sie da gemacht haben, das war eine Blusen Firma in den 80er Jahren, da wurden schon damals nur die Muster Teile gemacht für den Verkauf. Also die haben schon nicht mehr wirklich dort produziert und hatten so ein ‘’Ausbildungs-Labor’’, so haben die das genannt und das finde ich auch doof, also immer nur irgendwelche Probe Sachen da zu machen. Deswegen fand ich das nicht so spannend.

Melchior Rasch

Okay und sie haben ja im Dezember 1997 wenn ich richtig informiert bin, Ihr Mode Atelier gegründet, welches dann im Jahr darauf in der Jahnstraße in Düsseldorf eröffnet wurde. Warum war das für sie der richtige Zeitpunkt, sich selbstständig zu machen?

Sandra Gronemeier

Ich weiß nicht, ob es dafür einen richtigen Zeitpunkt gibt. Also ich war nach der Meisterschule angestellt als Meisterin, 2 Jahre lang, und dann bin ich gekündigt worden, weil die Verwandtschaft den Posten als Meister bekommen hatte und 2 Meister waren zu teuer. Dann habe ich noch mal einen Schnittschulung gemacht und dann hat man in diesem Betrieb festgestellt, dass es ja doch besser wäre, wenn ich weiter die Schnitte machen würde. Dann habe ich also nebenbei dort noch gearbeitet und dann sollte ich das eigentlich mit übernehmen. Dann wurde aber diese Verwandte, die Nichte eingestellt. Wir haben dann diesen Betrieb neu umstrukturiert, und das hat mir wirklich großen Spaß gemacht. Wir haben uns das dann so aufgeteilt, dass ich die Schnitte und die Werkstattleitung gemacht habe, und die Nichte hat dann mit der Chefin die Kunden betreut und Anproben gemacht und dann wurde Sie aber schwanger woraufhin mir klar wurde, dass ich den ganzen Zorn der Chefin abbekommen habe. Weil ich eigentlich genau so war wie sie die Nichte gerne gehabt hätte und das habe ich nicht mehr ausgehalten und dann bin ich nach einem weitern Jahr gegangen. Und dann habe zu mir gesagt, jetzt mache ich mich selbstständig, weil ich wusste wenn ich jetzt noch mal irgendwo anfangen und mich einarbeiten würde, dann wird das nichts. Dann habe ich gedacht, dann mach ich das jetzt!

Melchior Rasch

Okay, und dann kam ja irgendwann der Punkt, wo sie einen weiteren Laden übernommen haben in einer Kooperation, oder? Ein zusätzliches Herren Schneider Atelier.

Sandra Gronemeier

Ich habe mit jemandem, mit einem Geschäftspartner, die älteste Herren Schneiderei Düsseldorfs gekauft. Die hatte mir der damalige Chef angeboten und das Ziel war halt, das dann zu integrieren. Ich war in den Räumen, wo ich heute noch bin gerade 3 Jahre drin und ich hatte einen fünf-jährigen Mietvertrag unterschrieben und ich kam hier sowieso nicht raus dann habe ich gedacht okay wir lassen das 2 Jahre parallel laufen und dann suchen wir uns was Neues, also um die Kunden, um beide Kunden Stämme halt auch daran zu gewöhnen.

…Hat leider nicht funktioniert, weil mein Geschäftspartner nicht funktioniert hat, genau, also die Herren Schneiderei kann ich ja nicht und meine Idee war halt er baut diese dann weiter aus oder er bildet die auch aus. Ich hatte im Vorfeld auch, weil eigentlich bin ich überhaupt kein Teamplayer in solchen Sachen, einen Fragenkatalog erstellt, den wir beiden ausgefüllt haben und wir hatten 98% Übereinstimmung, das ist eigentlich super, und wir haben uns dann auch beraten. Das dauerte anderthalb Jahre, bis es soweit war. Nur ihm war nicht die Verantwortung bewusst. Er hat gedacht naja, wenn Sandra das macht, dann kriegen wir das schon irgendwie hin, dass er damit genauso im Fokus steht und was eben heißt Unternehmer zu sein, das war ihm eben nicht so wirklich bewusst. Und hat das auch nicht wirklich verkraftet so und dann ist das so eine Spirale ist eine Abwärtsspirale. Dafür waren die Räume zu teuer, wir konnten nicht liefern, dann sind Leute in Ruhestand gegangen und der Übergeber wusste das eigentlich und wenn er mir das gesagt hätte, hätte ich das doch nicht gekauft, also das war schon sehr eigennützig.
Und um die anderen nicht mit runter zu ziehen haben wir es dann halt irgendwann geschlossen, es kam also der klassische Ausverkauf und dann haben wir diese Ära beendet. Einen Teil der Kunden habe ich dann mitgenommen.

Melchior Rasch

Aber es lag dann quasi nicht daran, dass generell einfach die Nachfrage nach irgendwie maßgeschneidert und Herren Anzügen fehlte, sondern es war wirklich einfach…

Sandra Gronemeier

Ne, überhaupt nicht, wir konnten nicht liefern. *lacht*

Wir hatten so viel Nachfragen wir konnten nicht liefern, wir hatten zu wenige Fachkräfte.

Melchior Rasch

Okay, und Sie sind ja seit 1993 Maßschneidermeisterin und in ihrem Mode Atelier steht ja auch die Maßanfertigung klar im Vordergrund. Das habe ich auch in meiner Ausbildung hier auf jeden Fall gemerkt. *lacht*

Und die Frage dazu ist wie entstehen denn ihre Modelle? Also teilweise erarbeiten sie die Modelle ja mit den Kund*innen zusammen, aber es gibt ja trotzdem auch sowas wie Anschauungsstücke, die ausgestellt werden. Wie passiert das, wie kommen sie dahin, dass diese Kleidungsstücke entstehen?

Sandra Gronemeier

Wie ich dahin komme? Wie die Idee entsteht?

Melchior Rasch

Genau!

Sandra Gronemeier

Also ich habe jetzt nicht diesen Prozess, den man durchläuft, wenn man eine komplette Kollektion macht, den mach ich nicht also mit Moodboards oder ähnlichem. Dadurch, dass es Einzelstücke sind. Manche Dinge entstehen aus einem Stoff heraus, den ich sehe, manche Dinge entstehen, weil ich dann glaube, so eine Jacke fände ich jetzt mal ganz schön und dann suche ich den entsprechenden Stoff und da kommt aber vielleicht etwas ganz anderes dabei raus. Ich habe jetzt auch keine spezielle Kundin sowas. Meistens sehe ich das dann schon eher für mich also ich trag ja die Sachen dann oft auch und entwickle diese dann weiter.

Melchior Rasch

Und was sind dabei ihre größten Inspirationsquellen? Gibt es irgend bestimmte Personen oder Designer oder Labels oder Sie haben gerade gesagt, dass zum Beispiel Stoffe sie oft inspirieren?

Sandra Gronemeier

Nein, es ist eher das Material also Labels eigentlich weniger. Ich schaue mir natürlich die Mode Hefte an, dass man so eine Richtung erkennt. Aber dass ich jetzt sage, ich finde Dior besonders schön oder Gucci besonders schön, das nicht… das ändert sich auch von Saison zu Saison.

Ich entwerfe schon immer ein bisschen im Hinblick auf die Kundschaft, die man natürlich auch hat, ich würde jetzt nicht irgendwas nach vorne stellen, wo ich genau weiß, dass dreiviertel meiner Kund*innen Schnappatmung bekommen würden wenn sie es sehen, das würde ich natürlich nicht machen.

Melchior Rasch

Wie ist es dazu gekommen, dass sie ihre eigene Handschrift als Designerin entwickelt haben? Weil wenn man hier in den Laden rein kommt, und das habe ja auch bei ihnen in der Ausbildung gemerkt, sieht man schon dass Sie eine Linie haben, die man erkennt. Und ein Kleidungsstück von Sandra Gronemeier hebt sich auf jeden Fall von anderen Kleidungsstücken ab.

Wie kam es dazu? Oder haben Sie das Gefühl, sie können Ihre eigene Handschrift irgendwie greifen oder wissen ab wann diese entstanden ist?

Oder fangen wir doch damit an, wie würden sie Ihre eigene Handschrift beschreiben?

Sandra Gronemeier

Die eigene Handschrift. Klassisch inspiriert. Relativ geradlinig mit dem Fokus auf schöne Materialien. Wenn man schöne Materialien verwendet, braucht man nicht so viel Schnickschnack zusätzlich. Und ich finde immer wichtig, dass die Frau als solches noch im Mittelpunkt steht und nicht unbedingt das Kleid. Aber wenn jemand natürlich sagt, ich möchte durch das Kleid wirken, ja, dann muss man sich darauf einlassen aber sonst möchte ich, dass so eine Persönlichkeit der Frau unterstrichen wird, das finde ich halt wichtig.
Da hab ich letztens mal drüber nachgedacht, weil ich eigentlich jetzt manche Sachen schon ewig anziehe. Ob das schon immer da war? Weiß ich gar nicht. Also bestimmte Farbvorlieben sind glaube ich auch irgendwie da. Und wenn man in sich so ein bisschen ruht, dann macht man auch nicht jeden Mode Schnickschnack mit.

Melchior Rasch

Okay, wir machen einen kleinen Themen Sprung. Im Schneiderhandwerk ist die Handarbeit ja gar nicht wegzudenken? Wo sehen Sie in diesem Zusammenhang Probleme in der schnellen Mode Industrie?

Sie haben sich ja für das Maßschneiderhandwerk entschieden und sozusagen gegen einen industriellen Weg. Warum ist das so? Wo sehen Sie die Probleme in der großen Mode Industrie und warum legen Sie so viel Wert auf diese Manufaktur-artige Arbeit?

Sandra Gronemeier

Es ist auch meine Einstellung zum Umweltschutz und zur Nachhaltigkeit, die ich schon immer hatte, vor allem bezogen auf die Mode Industrie.
Also grundsätzlich st
ört es mich Sachen zu produzieren, von denen ich nicht weiß, wer sie nachher gebrauchen kann. Heute spricht ja irgendwie jeder davon aber früher war es nicht so ein Thema, da hieß es immer höher, weiter größer…
Und das ist glaube ich, auch das Problem der Industrie. Dazu finde ich, und fand es schon immer abstoßend, wenn ich irgendeinen Teil, egal was es war, in zigfacher Ausführung irgendwo gesehen habe.

Melchior Rasch

Einfach, weil Sie finden, dass es dann an Wert verliert.

Sandra Gronemeier

Ehm ja, weiß nicht, ich will ja nicht so aussehen wie alle anderen! Und dazu braucht man natürlich auch ein bisschen Mut, ne?

Melchior Rasch

Dieser Unikat Faktor sozusagen, ja.

Sandra Gronemeier

Ja, das schafft ja nicht jede Kundin. Eine Kundin hat mir immer gesagt sobald jemand fragt, ob das angefertigt wurde, wird sie das Kleidungstück nicht mehr anziehen. Das fand ich schon ein bisschen krass, das spricht natürlich auch für die Kundin, dass sie eigentlich kein eigenes Selbstbewusstsein hat und eine andere Kundin hat mir letztens noch gesagt, es wäre wie eine Rüstung, wenn sie Sachen von mir an hätte. Sie würde sich dermaßen sicher und unverwundbar fühlen, das fand ich, war ein schönes Kompliment.

Melchior Rasch

Das ist wirklich schön.

Sandra Gronemeier

Das ist, glaube ich, auch eine wichtige Frage. Dieser menschlicher Aspekt spielt ja schon eine Rolle. Es geht ja nicht nur um die Kleider als solches. Und bei der Industrie…. Wenn die Kosten einem immer im Nacken sitzen….. Naja und das war auch einer der Gründe, weswegen ich keine Lust hatte, nachher mit in diese Industrie einzutreten, dieser Kostendruck.
Den gibt es natürlich im Handwerk auch, aber anders.

Melchior Rasch

Weil bei der Massenfertigung dieses individuelle einfach untergeht?

Sandra Gronemeier

Ja genau.

Melchior Rasch

Spannend! Und sie sind ja seit 2003 Mitglied im Prüfungsausschuss der Maßschneider und haben quasi mehrere Generationen von Maßschneidergesell*innen in den Abschlussprüfungen miterlebt.
Und sie auch teilweise sogar noch in der Ausbildung begleitet.

 Sehen Sie Unterschiede zwischen den verschiedenen Generationen von Maßschneider*innen, die sie begleitet haben, haben Sie das Gefühl, dass Maßschneider*innen irgendwie 2003 anders waren, als sie heute sind? Haben Sie das Gefühl, es hat sich was verändert? Oder haben sich die Menschen verändert oder ihre Arbeiten oder auch das Handwerk an sich?

Sandra Gronemeier

Doch es hat sich eine Menge verändert. Ich glaube der Unterschied zwischen den einzelnen Leuten in den Jahrgängen selber ist groß. Also ob die entweder mit voller Leidenschaft da drin sind und sie dann auch für sich selber nähen, oder ob die sagen, ja okay, ich mach das jetzt mal weil das ein Zwischenstopp zu irgendeinem Studium ist. ich glaube, das ist der Unterschied.

Melchior Rasch

Also Sie sehen einen großer Spalt zwischen den Qualitäten innerhalb eines Jahrgangs in der heutigen Zeit?

Sandra Gronemeier

Ja, ich glaube das war damals nicht so. Es gab aber auch nicht diese großen Unterschiede in den Ateliers. Also die, die ausgebildet haben, haben durchweg die ganze Bandbreite abgedeckt, heute gibts ja Ateliers, die machen nur Braut oder die machen nur Upcycling und bilden dann auch aus. Und da hat der Azubi auch nicht die Chance die ganze Bandreite zu lernen. Und damals waren die natürlich auch nicht so abgelenkt also 2003 wir nicht so viel Smartphone geschaut, also das lenkt schon auch ab. Ja oder man beschäftigt sich generell mit anderen Dingen heute, vielleicht auch weil es die Möglichkeit gibt und dass sie den Zugriff auf alles haben, auf alles was mit Mode zu tun hat.

Melchior Rasch

Okay, und da hat sich an den Prüfungs Formaten auch was verändert über die Jahre.

Sandra Gronemeier

Ehm ja ja, die Prüfung ist vor 2012 oder 2010 weiß ich nicht genau, reformiert worden, da hat es eine neue Prüfungsordnung gegeben und dadurch ist dieses reine Abfragen von Prüfungsinhalten oder das generelle Prüfen von Inhalten sowohl im technischen Bereich als auch im theoretischen Bereich weggefallen und das ganze ist mehr als Kundenauftrag gestalten worden, also in bezugnehmend auf ein Modell also alles dreht sich ja nur um das eine Modell und den einen Kunden.

Es ist auch im Hinblick darauf passiert, weil die Meister Prüfung in unserem Bereich ja weggefallen ist und man hat im Grunde genommen diese Ausbildungsverordnung dann so neu gestrickt das man naja denen jetzt ist alles mit drin, die braucht man eigentlich dann auch nicht mehr. Früher gab es auch keine Schnitt Technik mit in der Schule. Es ist zwar manchmal unterrichtet worden, wenn die Klassen besonders gut waren aber es war nicht im Lehrplan drin. Und das hat natürlich für Auszubildende eher ein Vorteil, weil man ja die Sachen machen konnte, die einen besonders gut lagen. Also vorher wurde halt alles geprüft, da gab es dann noch diese schönen Muster Tücher an denen man alles gemacht hat. Wenn an dem Bekleidungsstück in der Prüfung meistens nur eine Taschen Art dran war, dann musste man halt in der Prüfung die anderen beiden Taschen Arten auf diesen Muster Lappen machen, um zu demonstrieren, dass man sie auch kann. Das ist jetzt zum Beispiel weggefallen.

Melchior Rasch

Okay, also, meinen sie dass die neuen Generationen von Maßschneider*innen einfach nicht mehr ganz so viele Fähigkeiten haben wie früher?

Sandra Gronemeier

Nee, nicht unbedingt, sie werden nur nicht abgeprüft, wir können das ja nicht feststellen. Also man kann sich jetzt natürlich so sehr auf dieses eine Teil fokussieren. Zu meiner Zeit war dieses Muster Tuch auch noch geheim, also das war so ein Überraschungseffekt am letzten Prüfungstag.
Gut fand ich auch, dass sie sich selber organisieren mussten. Also diese Arbeitsablaufpläne, die hatten wir früher nicht, so dass man sich dann schon mal mit dem Teil auseinandersetzen musste. Und der Prüfungsausschuss ist ja von Stadt zu Stadt oder von Kreis zu Kreis relativ autark, also das machen wir jetzt nicht wie beim bundesweiten gleichen Abitur.

Melchior Rasch

Also gibt es auch regional große Unterschiede?

Sandra Gronemeier

Ja! Und so bei diesen Kongressen, wo es so Wettbewerbe für Auszubildende oder für Mitarbeiter gibt, kriegt man schon noch mit, dass in den Gegenden, wo wenig los ist, sag ich mal so tiefstes Bayern oder in Norddeutschland, sind die Azubis im Schnitt auch besser als hier in Nordrhein Westfalen, in einer Gegend, wo natürlich pausenlos irgendwas passiert und man nicht vor lauter Langeweile Abends nähen muss.

Melchior Rasch

Ja okay verstehe.
Und Sie haben ja neben ihrer Tätigkeit in ihrem eigenen Mode Atelier noch zahlreiche Ehren Ämter inne und die Frage dabei ist: wie vereinbaren sie ihre Arbeit und ihren Alltag am besten und wo finden Sie zwischendurch Ruhe?

Oh, wie schaffen sie den Spagat dazwischen Maßschneidermeisterin zu sein in ihrem eigenen Atelier und gleichzeitig ehrenamtliche Richterin oder gleichzeitig im Prüfungsausschuss zu sitzen? Wie schaffen Sie das alles unter einen Hut zu bringen.

Sandra Gronemeier

Das ist für mich ja kein Spagat. Weil das alles natürlich ein bisschen ineinandergreift und man hat auch ein bisschen anderen Impuls mal so für den Kopf, also gerade so was das Arbeitsgericht und so angeht.
Die Arbeit als solche, also dieses Produzieren von Bekleidung ist für mich kein Stressfaktor, sonst würde ich das, glaube ich, nicht tun. Also Stressfaktor ist eher das, was um einen herum ist.
Also wenn Kund*innen nicht pünktlich sind, wenn Stoffe nicht geliefert werden, wenn Kunden nicht bezahlen und so das stresst einen, also das stresst mich mehr, als wenn ich jetzt einfach viel abarbeiten muss.

Melchior Rasch

Also sind ja quasi die Tätigkeiten in ihren Ehrenämtern ein Ausgleich zu dem, sagen wir, dem täglich Brot?

Sandra Gronemeier

Ne ein Ausgleich ist das auch nicht, also Prüfungswesen und so ist es einmal natürlich die Möglichkeit mitzugestalten. Es geht glaub ich viel ums Gestalten bei Handwerkspolitischen Ehrenämtern. Und man kriegt ja auch ne Menge zurück. Es ist ja nicht nur Arbeit. Also wenn man, so mitkriegt in Prüfungsworkshops, dass das, was man jemandem geraten hat, umgesetzt wurde und der kommt dann mit einer guten Note raus, dann ist das ein Erfolgserlebnis also das ist denn ein positives Feedback.
Die anderen Sachen wie die Ehrenämter, ja, das ist eigentlich der Wunsch nach gestalten.

Melchior Rasch

Was sind da so Ihre Ideale, wonach streben sie haben Sie konkrete Ziele für sich formuliert, was sie erreichen wollen, also in einem Handwerkspolitischen Ehrenamt?

Sandra Gronemeier

Ja, erstmal das Handwerk anerkannt wird, dass es auch eine Wertschätzung gibt. Also wir sind ja so ein kleines Handwerk indem es nicht mehr viele von uns gibt. Und dass man gerade dann sagt, ja uns gibt es eben auch noch. Wenn Leute an Handwerk denken, denken sie oft an Bäcker, Maler oder sowas aber nicht unbedingt an uns als Maßschneider. Das ist mir einmal wichtig. Dann gibt es natürlich wenig Frauen im handwerklichen Ehrenamt, das kommt auch noch dazu, ganz wenige Frauen.
Ruhe finde ich eigentlich eher, wenn ich so solche Sachen wie meine Kunst machen und da finde ich Ruhe, da tauche ich ab.

Melchior Rasch

Was genau an Kunst machen Sie dann da?

Sandra Gronemeier

Collagen.

Melchior Rasch

Und Sie haben gerade eben ja schon mal in einem Punkt genannt, dass das Handwerk Ihrer Meinung nach zu wenig gesellschaftliche Anerkennung erfährt und man kann ja auch in der Gesellschaft beobachten, dass das Maßschneider Handwerk einfach immer weiter zurückgeht und auch die Nachfrage dafür zurückgeht. Das ist zumindest meine Beobachtung, da wäre es interessant zu wissen, wie sie dazu stehen und die Frage würde lauten, worin sehen Sie Zusammenhänge und die Gründe dafür, dass das Maßschneider Handwerk einfach immer weiter zurückgeht und viele Läden einfach dicht machen müssen?

Sandra Gronemeier

Ich glaube, es ist sehr vielschichtig. Es ist glaube ich auch ein gesellschaftliches Ding. Also was wir eben schon meinten, muss man sich natürlich auch trauen, bestimmte Sachen zu tragen. Dann können wir nicht dieses kurzfristige Shopping Erlebnis, Kaufrausch-Gefühl befriedigen weil mit mehreren Anproben oder mit dem Aussuchen länger dauert, weil es eben kein kurzfristiges Vergnügen ist. Dann ist es, glaube ich, vielen gar nicht bewusst, dass es überhaupt möglich ist (Maßanfertigung) zumindest denen die jetzt keine Beziehung in der Familie oder so dazu haben. Die können sich das gar nicht vorstellen.
Dann fehlt vielen Kund:innen auch so eine Vorstellungsgabe dafür wie sie Sie in der Kleidung aussehen? Wir verkaufen im Grunde genommen eine Vision, wenn sie jetzt nicht gerade irgendwas anziehen. Das heißt, die Leute müssen schon ziemlich großes Vertrauen haben, sich darauf einzulassen. Das ist ja wie ein Experiment. Und ich glaube, wir haben uns über Jahre auch versteckt in irgendwelchen Ateliers, die nicht nach außen sichtbar waren. Dieser Marken Hype, der bewusst in den 80er Jahren mit deutschen Designern wie Joop oder Jil Sander gepusht worden ist. Da gab es ja noch viele von uns, da sind wir, glaube ich, ein bisschen eingeknickt. Also dieses. Naja, das ist nicht wirklich modisch, oder das ist vielleicht nicht gut verarbeitet oder sieht ein bisschen spießig aus? Dieses Image hat sich da geprägt. Bei den Jüngeren kippt das ja eher… Also die empfinden das ja nicht so, aber bei den
Älteren kommt das schon raus.

Melchior Rasch

Okay, also, meinen sie, dass das Maßschneider Handwerk sozusagen nicht geschafft hat diese Geschwindigkeit einzulegen oder sich nicht schnell genug an den Zeitgeist der Mode anzupassen?

Sandra Gronemeier

Nein, also bei den Herren ist es ja noch so, also wenn ,man die New York Times oder FAZ oder so liest, wenn da Leute sind, also irgendwelche Firmenchefs, da steht ja schon mal drunter ‘’der Herr So und so im Maßanzug’’. Das ist ein Zeichen dafür, der hat so viel Geld, der kann sich einen Maßanzug leisten. Bei Frauen würde man das nie finden, das steht dann eher eben ein Label drunter und wenn die vielleicht sagt auf dem roten Teppich, ich hab mir das machen lassen dann lässt man das ja gerne mal weg. Ich glaube, dieses Gefühl ist ein anderes und es hat sich in den letzten paar Jahren geändert. Aber der Handwerker als solches ist ja nicht unbedingt ein Marketingexperte. Ich glaube, das ist eher so unser Problem.

Melchior Rasch

Okay, verstehe und für Sie persönlich, was ist ihr Erfolgs Konzept und warum bestehen sie, obwohl so viele Läden in Düsseldorf speziell, aber auch im Rest von Deutschland schließen müssen? Vor allen Dingen nach der Corona oder während der Corona Pandemie?

Sandra Gronemeier

Ich glaube, eines meiner Erfolgsrezepte ist die Arbeit die ich abliefere, dass diese so perfekt wie möglich ist. Also es geht eben auch nichts raus, wo ich nicht voll und ganz dahinterstehe.  Ich glaube auch, dass ich mich sehr auf die Kunden als solches einlasse. Und dass sie sich wohlfühlen und in meiner Arbeit bin ich einfach schnell. *lacht* Ich glaube dadurch rechnet sich das dann eben auch.
Und dadurch, dass immer hinterfragen, was ich da eigentlich auch mache und auch hinterfrage wie komme ich zu dem gleichen Ergebnis und irgendwo Zeit einsparen kann, dass sich dann auch eben rechnet.


Melchior Rasch

Sind Sie denn im Vergleich auf dem Düsseldorfer Markt relativ günstig in dem, was sie verkaufen?

Sandra Gronemeier

Ne, also günstig bin ich nicht. *lacht* Ich glaube von den kleineren Betrieben bin ich bestimmt einer der teuersten. Aber das war auch nicht also, das ist auch ganz selten bei den Kunden, dass das der Preis ausschlaggebend ist.

Melchior Rasch

Was ist ausschlaggebend?

Sandra Gronemeier

Ob man miteinander zurechtkommt oder nicht, also ich glaube nicht. Wenn jemand jetzt vielleicht zwischen 800und 1000sagt Mhm, aber wenn jemand nur 300ausgeben will, da kommen wir auch bei 500nicht klar.

Melchior Rasch

Verstehe! Und wir haben es geschafft durch die Corona Pandemie zu kommen?

Sandra Gronemeier

Ich habe eine Künstler Kundin und die braucht nichts anzuprobieren.
Und ich habe natürlich auch diese Hilfen in Anspruch genommen, was war immer relativ aufwendig war. Also da muss man sich schon selber hinter klemmen. Also der Steuerberater ist nicht auf mich zugekommen. Also ich hab mich regelmäßig bei Corona Onlineseminaren angemeldet und habe das dann ausgefüllt und ein Teil meiner Kund*innen haben mir dann auch regelmäßig Sachen geschickt, ohne dass diese
anprobiert werden mussten und ich habe repariert oder gekürzt oder wie auch immer damit ich noch weiter bestehen kann.

Melchior Rasch

Okay also Sie waren einfach flexibel genug, um irgendwelche Wege zu finden, trotzdem weiter zu produzieren und zu verkaufen?

Sandra Gronemeier

Genau!

Melchior Rasch

 Schön, gut, dann bedanke ich mich bei ihnen für das Interview

Sandra Gronemeier

Gerne.

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